Seit vor einigen Monaten eine neue Kontaktdatennachverfolgungs- und Gästeregistrierungslösung auf den Markt kam, kommt immer wieder die Idee auf, diese flächendeckend in Deutschland einzuführen. Neben dieser gibt es allerdings unzählige weitere Anwendungen, die alle die Kontaktverfolgung erleichtern, Zettelwirtschaft vermeiden und Gesundheitsämter entlasten wollen. Dafür müssen möglichst viele Menschen mitmachen. Mit der Beschränkung auf eine einzige Anwendung besteht die Gefahr, dass hier eine künstliche Hürde entsteht, da sich nicht jeder eine bestimmte Lösung auf sein Smartphone laden will. Sollte es zu Schwierigkeiten oder Ausfällen kommen, ist die Abhängigkeit von einer einzigen Lösung zudem problematisch.
“Es muss egal sein, mit welcher App ein Betrieb digitale Kontaktdaten erfasst. Wichtig ist, dass das Gesundheitsamt über eine einheitliche, offene Schnittstelle darauf zugreifen kann",
so die Initiative Wir für Digitalisierung, die mit ihrem offenen Gesundheitsamt-Portal eine solche Schnittstelle bietet.
Diese Idee der offenen Schnittstelle findet immer mehr Anklang, könnten so möglichst viele der auf dem Markt bestehenden Anwendungen zur Kontaktnachverfolgung genutzt und an die Software der Gesundheitsämter angebunden werden. Das gemeinsame Ziel muss schließlich sein, so viele Daten wie möglich für die Gesundheitsämter zur Verfügung zu stellen, um die Infektionsketten bestmöglich nachverfolgen und eindämmen zu können.
In Thüringen hat man sich für eine solche Schnittstelle, ein sogenanntes Gateway, zum IT-System SORMAS, welches die Mehrheit der Gesundheitsämter dort nutzen, entschieden. Sie ermöglicht die Nutzung verschiedener Anwendungen zur Kontaktnachverfolgung. „Mit dieser IT-Komponente können möglichst viele der bereits am Markt vorhandenen und in Thüringen im Einsatz befindlichen App-Lösungen an die in der Mehrzahl der Thüringer Gesundheitsämter genutzten Software Sormas angebunden werden“, so das Thüringer Finanzministerium Ende März.
Laut Finanzministerin Heike Taubert hatte die Entscheidung für die offene Schnittstelle mehrere Gründe: „Zum einen wollen wir eine möglichst breite Datenbasis für die wichtige Kontaktnachverfolgungsarbeit der Gesundheitsämter liefern. Dies ist nur durch eine ebenso breite Nutzung elektronischer Registrierungslösungen erzielbar. Zum anderen sehen wir uns dem im Thüringer E-Government-Gesetz und dem Thüringer Vergabegesetz normierten Grundsatz des vorrangigen Einsatzes von Open-Source-Software verpflichtet. Und zu guter Letzt wollen wir damit auch die Arbeit und das Engagement der vielen Start-ups würdigen und unterstützen.“
Der Innovationsbund Öffentliche Gesundheit (InÖG) hat bereits eine solche offene Schnittstelle namens IRIS entwickelt, die an das IT-System SORMAS angeschlossen werden kann.
Dr. Tobias Opialla vom InÖG: „Die offene Entwicklung von Infrastruktur hat die große Stärke, dass Expertise demokratisch eingebracht werden kann. Andersherum wird bei der Entwicklung einer solitären Lösung alle Verantwortung auf ein einziges System gelegt. Die Frage ist außerdem, wie eine einzelne Lösung überhaupt in der Bevölkerung durchgesetzt werden soll. Wir sehen viele spezialisierte und vielfältige Lösungen, die auf die besonderen Bedarfe einzelner Sektoren zugeschnitten sind, wie Gastronomie und Veranstaltungen, Vereinssport, Schulen, oder das Arbeitsumfeld. Alle diese spezialisierten Lösungen können wir mit einer gemeinsamen Schnittstelle mitnehmen.“
Mit offenen Schnittstellen für alle Gesundheitsämter müssen die bestehenden Lösungen nicht aufgegeben werden, sondern können nebeneinander existieren. So kann gemeinsam an einem Strang gezogen werden, anstatt gegeneinander zu arbeiten.